Facebook „vergreist“?! – Papperlapapp!
Gerade bin ich – mal wieder – über eine Meldung à la „Facebook-User werden immer älter“ gestolpert. Es handelt sich dabei um eine von vielen Medien aufgegriffene Pressemeldung des Faktenkontors zu den Ergebnissen des kostenpflichtigen Social-Media-Atlas 2017/2018, den die Hamburger PR-Agentur jüngst zum achten Mal publiziert und welche die Botschaft „Facebook vergreist!“ medienwirksam verbreitet. Kurz darauf ist vom „Social Altersheim“ Facebook (horizont) und „Seniorenheim“ unter den Sozialen Medien die Rede (PR-Magazin) sowie vom „Nutzerwandel im Freunde-Netzwerk“ (Markenartikel-Magazin). „Ja, was ist denn da los?“, fragt sich der besorgte Marketing-Manager, der gerade einen Großteil seines Paid Media Budgets auf Facebook-Ads gesetzt (oder etwa versetzt?!) hat.
So eine effektvolle Überschrift verfehlt auch bei mir ihre Wirkung nicht und macht mich neugierig – aber auch stutzig, und die veröffentlichte Grafik bringt mich dazu, etwas tiefer zu bohren – nach meinem letzten beliebten Beitrag zum „Alle-elf-Minuten…“-Claim von Parship ein neuer Fall für unsere Rubrik „Fake-Statistik des Monats“.
Die „Facebook-Vergreisungs-These“ kam schon 2013
Die Botschaft, dass das Publikum der am weitesten verbreiteten Social Media Plattform immer älter wird, ist nicht neu. Schon 2013 erschien der eine oder anderen Beitrag mit der Überschrift „Facebook vergreist – Twitter wird jünger“, die durch eine im Auftrag des Focus durchgeführte Studie des Marktforschungsinstituts Comscore ausgelöst die Runde machte. Bereits damals wurde die Pressemeldung mit der „Facebook-Vergreist“-Überschrift von vielen großen Medien in nahezu unveränderter Form übernommen, z.B. „Erhebung: Soziale Netzwerke vergreisen“ (Heise), „Facebook-Durchschnittsalter bei 38,7 Jahren“ (Kurier), „Altersschnitt in sozialen Netzwerken steigt ständig“ (Heute). Einer der wenigen, die das Ganze kritisch hinterfragt und relativiert haben, ist der Social Media Berater Christian Kaiser. Zur Bedeutung der Studienergebnisse für Facebook stellte er nach kurzer Betrachtung der Zahlen in seinem Fazit schlicht fest, dass sich das Nutzeralter durch den Reichweitenzuwachs natürlich an den Online-Nutzerdurchschnitt annähert, d.h. altersunabhängiger wird und „somit das Gegenteil dessen, was uns die Überschriften vieler Medien vermitteln wollten.“
Hat sich der demografische Wandel von Facebook 2017 vollzogen?
Auslöser der aktuellen Welle ist das Teilergebnis zum „Sinkflug“ der prozentualen Reichweite von Facebook innerhalb der Teenager-Altersgruppe – sehr schön umgesetzt in dieser Infografik zum Social-Media-Atlas 2017/2018, die den Facebook-„Nutzerwandel“ in den Altersgruppen seit 2011 dokumentieren soll: ein Liniendiagramm, das die Reichweiten-Entwicklung über die letzten Erhebungswellen innerhalb der einzelnen Altersgruppen im Zeitverlauf darstellt und in dem die orangefarbene Linie der Teenager als einzige seit 2015 nicht (mehr) dem allgemeinen Aufwärtstrend der Reichweite von Facebook in nahezu allen Altersgruppen folgt. 2017 nun sinkt die Reichweite von Facebook bei den 14 bis 19-Jährigen auf das Rekordtief von 61 Prozent, während die Zielgruppe der Silversurfer 60 Jahre und älter mit einem Reichweitenzuwachs von 23 Prozentpunkten innerhalb nur eines Jahres glänzen kann.
3 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Danke. Sehr aufschlussreich. Bin begeistert.
Sehr gute Darstellung. Jeder sollte sich genau überlegen welche Zielgruppe er wirklich hat. Facebook hat sicher nicht an Reichweite verloren. Die platten Schlagzeilen helfen da nicht weiter. Diese Analyse hier schon. Vielen Dank dafür!
Hervorragend recherchiert und aufbereitet! Lieben Dank dafür. Hoffentlich verbreitet sich das auch, und die in Facebook wachsenden Zielgruppen sollten das ja dann auch inhaltlich verstehen.
Einzig wirklich kritisch zu sehen aus unserer Brille ist die massiv voranschreitende Passivität der Nutzer, mit Schwerpunkt in den jungen Altersklassen. Unsere Erstsemester befragt haben die nahezu alle einen (oder noch einen) Facebook-Account, den sie zumindest wegen des einzigartig gefüllten Veranstaltungskalender auch nicht aufgeben möchten. Dass das aber dauerhaft zum scheitern verurteilt ist, wenn man nur nutzt und noch nicht mal bereit ist einen Like abzugeben, wo man die Info doch nutzt, das ist insbesondere in dieser Zielgruppe sehr verbreitet. Wäre mir fast sicher, dass diese Passivität in vielen Fällen als Abwanderung interpretiert oder weitergegeben wird, und so wahrscheinlich dort auch die Zahlen verfälscht.