„Alle 11 Minuten verliebt sich ein Single über Parship“

Plakat wirkt. Bei mir jedenfalls besser als jedes andere Medium. Gefühlt bin ich schon tausend Mal an den orange-farbenen Plakaten der Dating-Plattform Parship vorbeigefahren. Dazu kommt die aktuelle horizont-Meldung, wieso Parship mit den 38 (!) Werbeeinblendungen während der Pro Sieben Super Bowl Übertragung die Gemüter erhitzte – und sich trotzdem darüber freuen kann.

Und da bei mir Zahlen in Werbe-Claims und Marketing einen gewissen Schlüsselreiz darstellen, beschäftige ich mich heute mit diesen 11 Minuten in unserer Rubrik der Fake-Statistik des Monats.

In Unstatistik des Monats als statistisches Eigentor gekürt

Bereits in einem unserer letzten Blog-Beiträge haben wir uns der Statistik und ihrem Einsatz in Marketing und Medien gewidmet.  Auf dem Prüfstand heute sollen die besagten elf Minuten aus dem Claim der Partnervermittlung stehen, der – soweit die Annahme – suggerieren soll, dass dies ein besonders guter Indikator für den Vermittlungserfolg der Plattform sei.

Das Thema wurde zwar bereits als  „Unstatistik des Monats“ vor ziemlich genau zwei Jahren mit dem vielfach aufgegriffenen Artikel „Liebestrunken – Vermittlungsbörse schießt statistisches Eigentor“ unter die Lupe bzw. auf’s Korn genommen, doch ich habe den Artikel extra vorher nicht gelesen, um zu sehen, ob ich zum gleichen Schluss komme wie die Kollegen aus Essen. Wollen wir mal sehen…

Die Zahl schafft vor allem eins: Irritation

Um ein Gefühl dafür zu bekommen, ob der Wert der elf Minuten nun wirklich ein besonders herausragender für den Key Performance Indicator (KPI) „Verlieben“ ist (oder müsste es nicht vielmehr „Verliebtsein“ oder „Verliebungswahrscheinlichkeit“ heissen?), wie das Marketing vermitteln möchte, baue ich ihn mal zu einer besser vorstellbaren Zahl um:

Annahme 1 zur absoluten Zahl der Verliebten aus dieser Aussage: Wenn sich alle elf Minuten ein Single verliebt, benötigt es 22 Minuten, damit sich zwei Singles zu einem Paar zusammenfinden (diese haben sich natürlich innerhalb der Parship-Community gefunden und nicht etwa im Supermarkt oder im Job, was beliebte andere Rahmen für’s Verlieben sind.). Wie viele das genau sind, lässt sich leicht aus der absoluten Anzahl der Minuten eines Jahres herleiten:

Ein Tag hat 1.440 (=60×24) Minuten

Ein Jahr hat 525.600 (=365×1.440) Minuten

geteilt durch 22 Minuten, macht dies 23.890 glücklich verliebte Parship-Paare pro Jahr. Ob dies viel oder wenig ist, sollte man in Relation zur absoluten Menge der „Suchenden“ setzen, die keinen Erfolg hatten und auch nach einem Jahr teurer Mitgliedschaft auf Partner- und Verliebtseins-Suche sind.

Annahme 2 zur absoluten Zahl der Verliebten: „Nach unseren Hochrechnungen haben sich seit dem Start von Parship vor 15 Jahren über 550.000 Singles dank unserer Plattform gefunden.“ heißt es aus der Paar-Befragung seitens Parship aus 2016. Das heißt im Durchschnitt sind es 36.666 Singles pro Jahr. Und da Singles sich ja nicht ‚finden‘, sondern wenn überhaupt Paare sich zusammenenfinden, sind es also nur 18.333 Paare pro Jahr  (unter Annahme gleichbleibender Mitgliederentwicklung). Das sind deutlich weniger als nach Berechnung aus Annahme 1 – auf dieser Basis müssten sie eigentlich den Claim ändern in „Alle 14 Minuten…“ aber wir wollen nicht kleinlich sein.

So oder so haben wir mit so einer absoluten Zahl immer noch keine wirkliche Idee, ob die Erfolgswahrscheinlichkeit bei um und bei 20.000 Paaren pro Jahr nun eigentlich gut oder schlecht ist. Einen guten Anhaltspunkt bildet eine weitere Zahl zur tatsächlichen Erfolgswahrscheinlichkeit. Diese beträgt tatsächlich 38 Prozent aller Premium-Mitglieder – auf Basis der eigenen Mitgliederbefragung nach Ende der Premium-Mitgliedschaft. Diese 38 Prozent sollen auch Ausgangswert für die Hochrechnung gewesen sein, aus der die 11 Minuten-Aussage resultierte. Das würde bei den angenommenen optimistischen 23.890 Paaren, die ihre Premium-Mitgliedschaft aufgrund akkuter Verliebtheit gekündigt bzw. nicht verlängert haben, bedeuten, dass 100 Prozent einer Basis von lediglich 125.736 Premium-Mitgliedern entsprächen.

38 Prozent klingt nicht so attraktiv – was wäre denn mit den anderen 62?

Ich persönlich finde, 38 Prozent ist ein hoher Wert, der eine greifbarere Alternative zu den kommunizierten 11 Minuten darstellen würde – aber das scheint der oder die Marketing-Verantwortliche anders gesehen zu haben. Auf jeden Fall bräuchte es bei der normalsterblichen Zielgruppe mit statistischer Grundbildung nur wenige Sekunden, bis das System 2 im Kopf ruft: „Was ist denn mit den anderen 62 Prozent ohne Erfolg? Das sind ja viel mehr! Dann lass ich das mit dem Dating mal lieber und flirte woanders…“

Ich habe jetzt übrigens doch mal einen Blick auf Unstatistik der Kollegen geworfen: Diese kommen bei ihrer Übersetzung der Minuten in greifbare Wahrscheinlichkeitswerte zum Ergebnis, dass die Erfolgsquote zwischen knapp zwei und 13 Prozent liegen müsste. Allerdings hängt diese stark von der absoluten Zahl der Parship-Mitglieder ab:  Ob diese eher bei den zunächst angenommenen fünf Millionen oder 750.000 liegt, darüber ist keine bestätigte Zahl bekannt. Wenn es lediglich die oben hergeleiteten rund 125.000 wären, sähe die Erfolgsquote bei den Herren doch um einiges besser aus.

Wir lernen erstens: Wenn man zwei Seiten zu sehr aufbläht, knallen einem die Zahlen irgendwann um die Ohren: Entweder sind die absoluten Mitgliederzahlen viel kleiner als an anderer Stelle suggeriert oder – falls nicht – ist das Nutzenversprechen, sich mit hoher Wahrscheinlichkeit zu verlieben, viel kleiner als seitens des Marketings suggeriert.

Und wir lernen zweitens: Wie man auf Zahlen schaut, hat häufig mehr damit zu tun, ob wir im Alltag zu denen gehören, für die ein Glas halb voll ist oder doch eher halb leer. Doch wie diese Grundeinstellung wiederum den KPI des Verliebtseins beeinflusst, wäre doch mal eine Frage für die nächste Dating-Studie, oder?

Haben Sie eine Fake-Statistik gefunden?

Sind Ihnen in letzter Zeit Studien-Publikationen aufgefallen, in denen auf beachtenswerte Weise mit Zahlen jongliert wurde? Dann her damit! Wir interpretieren sie neu.

Beispiele bitte an: Fake-Statistik@mediaresearch42.de

Ich bin gespannt!

Herzliche Grüße und bleiben Sie neugierig,

Sandra Gärtner